Ich sitze auf meinem Sofa, den Laptop im Schoß, es ist Feiertag: Tag der Deutschen Einheit. Zwar weiß ich nicht so genau, ob dieser ein Grund zum Feiern ist oder eher doch nicht, aber ich weiß, dass es generell etwas zu feiern gibt, und das eigentlich sogar jeden Tag: mich selbst.
Gerade in den letzten Tagen wurde mir noch einmal bewusst, wie nah mein Leben eigentlich an dem dran ist, was ich wahrscheinlich immer gewollt habe. Ja, ich überschreite oft meine Grenzen, gehe bis zum äußersten Rand meiner Kräfte – das ist etwas, was ich noch immer nicht ganz unter Kontrolle habe und sicherlich eine besondere Gefahr des Selbstständigenlebens. Aber ich organisiere mir mein Leben komplett so, wie ich es will, nicht wie andere es von mir erwarten.
Selbstfindung: wie ich lernte, was mir wirklich wichtig ist
Natürlich war es bis hierhin ein langer Weg und ein oft steiniger dazu: eine anstrengende Zeit der Selbstfindung. In den letzten zehn Jahren sind Dinge passiert, die ich keinem wünschen möchte. Unter anderem bin ich durch eine ernste Depression gegangen und habe sehr unerwartet meine über alles geliebte Mutter in den Krebstod begleiten müssen. Ich habe viel gelitten, geweint, geflucht, die Sinnhaftigkeit des Lebens hinterfragt, zwischendurch immer wieder gehofft und bin am Ende mir selbst ein ganzes Stück näher gekommen. „Das Leben ist hart“ – das ist es wirklich und dieser Satz nicht nur eine Floskel. Doch es kann auch wunderschön und zuckersüß sein, nicht immer, aber immer wieder.
Und damit wir möglichst viel abbekommen von dieser klebrigen Süße und den leichten warmen Sommerwinden, müssen wir lernen herauszufinden, was wir wirklich wollen, unabhängig von Eltern, Partnern, Freunden, Gesellschaft. Ich erinnere mich noch allzu gut daran, wie ich mit 28 oder 29 an meinem Schreibtisch in Rotterdam saß, wo ich damals lebte, und darüber nachdachte, was ich eigentlich will in diesem Leben. Ich kam zu keinem befriedigenden Ergebnis, merkte lediglich, dass mir etwas fehlte. Heute weiß ich, was das war: die Freiheit aufzubrechen, in die Ferne hinauszuziehen, Länder und Kulturen kennenzulernen, diesen tiefen Drang auszuleben, der schon von Kind an in meinem Inneren wütet. Woher er kommt? Ich weiß es nicht, denn meine Eltern sind nie Weltenbummler gewesen, auch meine engen Freundinnen nicht. Klar, Urlaube gab es, aber die Vorstellung, ein halbnomadisches Leben zu führen, ist sicherlich keinen von ihnen je gekommen. So habe ich entsprechend lange gebraucht, meinen eigenen Traum ernst zu nehmen, ihn nicht mehr zu verdrängen und mein Leben dementsprechend auszurichten: Freiberuflichkeit, Reiseblog, keine Suche mehr nach einem Partner und die Akzeptanz dafür, dass mich zwar einige bewundern, viele mich aber auch für verrückt und realitätsfern halten. Das Resultat meiner Selbstfindung.
So hart es auch klingen mag, ich weiß nicht, ob ich ohne meine Schicksalsschläge heute da wäre, wo ich nun bin. Die Depression war nötig, um mir zu zeigen, dass ich auf einem ganz falschen Weg bin und dringend etwas ändern muss. Und auch mein Umfeld konnte so eher verstehen, dass ich wirklich anders leben muss, als die Mehrheit der Menschheit: kein Angestelltenverhältnis (welches ich dann gekündigt habe), keine Familienplanung, wenig Sicher- dafür aber viel Freiheit. Auch hat der frühe Tod meiner Mutter (sie war gerade mal 64) mir noch einmal gezeigt, dass das Leben endlich ist und viel schneller vorbei sein kann, als wir es jemals erwartet hätten. Es wäre also dumm, die Träume auf später zu verlegen, wenn wir doch gar nicht wissen können, ob es dieses Später überhaupt jemals geben wird. Ich will jetzt so leben, dass ich mit mir selbst und dem, was ich tue glücklich bin, so weit es nur irgendwie geht. Denn natürlich weiß auch ich, dass es immer wieder harte Tage geben wird, egal wie sehr ich meinen Lebensentwurf optimiere. Doch darum geht es auch nicht.
Schaue ich auf das, was ich aktuell mein Leben nenne, so sehe ich eine Frau, nicht mehr ganz jung, aber noch lange nicht alt, mit einer endlos großen Leidenschaft für das, was sie tut, und die keinen Tag daran zweifelt, dass sie den richtigen Weg eingeschlagen hat. Ich liebe meine zwei Blogs von ganzem Herzen, unterrichte mit Spaß und Hingabe Deutsch als Fremdsprache, bin aber auch froh, dass dies nicht mein einziges Standbein ist, denn Unterrichten ist schön, aber auch wirklich anstrengend, und bin dankbar dafür, dass ich meine Eigentumswohnung (und somit meine Homebase) habe, aber auch monatelang an anderen schönen Orten dieser Welt leben kann. Ich vermisse meine Mutter jeden Tag, bin dafür aber meinem Vater näher gekommen (Klaus, danke, dass du mich so nimmst, wie ich bin: ich hab dich lieb) und habe für mich angenommen, dass wir die Welt und das, was um uns herum passiert nicht lenken können, wir aber die Macht haben, unseren eigenen kleinen Kosmos immer wieder neu zu ordnen, so dass wir mit uns selbst in Eintracht leben.
Und nun werde ich sie weiter feiern, diese Einheit mit mir selbst!
-Für Irene-
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