Selbstwert – du bist nicht was du schaffst

Faulsein ist wunderschön,
denn die Arbeit hat noch Zeit.
Wenn die Sonne scheint
und die Blumen blühn,
ist die Welt so schön und weit.

Faulsein ist wunderschön,
liebe Mutter glaub‘ es mir.
Wenn ich wiederkomm‘,
will ich fleißig sein,
ja das versprech‘ ich Dir.“

Vielleicht kennt ihr es auch noch – das Lied aus Pippi Langstrumpf, in welchem die von Astrid Lindgren geschaffene Heldin, die Schönheit des Faulseins besingt. Immer wieder kommt mir dieser Liedteil in den Kopf, wenn ich es mir einmal erlaube, das Nichtstun zu genießen. Wichtig ist hier das Verb „erlauben“, denn leicht fällt mir das nicht. Nicht etwa, weil ich mich dann langweile oder es nicht mag, vielmehr wegen der Konditionierung durch Erziehung und Gesellschaft zum Produktivitätszwang. Arbeit und auch das generelle Beschäftigtsein haben einen extrem wichtigen Stellenwert: das habe ich von Klein auf gelernt. Auch möchte ich dies gar nicht bestreiten, doch einmal in Frage stellen, wie hoch dieser Stellenwert eigentlich wirklich sein sollte.

Aktuell befinden wir uns in der Corona-Krise. Ich selbst habe von heute auf morgen meine primären Einkommensquellen verloren, so wie mehr als mein halber Bekanntenkreis auch. Das ist jetzt gerade einmal etwas über einen Monat her, kam Schlag auf Schlag und hat mich sowie sicherlich viele andere auch, zunächst in einen Schockzustand versetzt. Mitte März habe ich mehrere Tage am Stück fast ausschließlich am Handy verbracht, um die Nachrichten zu verfolgen und zu erleben, wie eine Institution nach der anderen dichtgemacht hat und Stück für Stück immer mehr Grenzen geschlossen wurden. Da ging es dahin, das schöne Reisebloggerleben, ebenso das der freiberuflichen Dozentin für Deutsch als Fremdsprache. Nächtelang habe ich kaum geschlafen, mich irgendwie manisch gefühlt und unter Zwang nichts von den Neuigkeiten verpassen zu dürfen.

Doch dann war es bald klar: Arbeiten (zumindest wie sonst) geht aktuell nicht wirklich, alles ist plötzlich anders, planen ist auch unmöglich geworden. Es ist also an der Zeit sich an eine völlig neue Situation zu gewöhnen. Und so etwas geht nicht von heute auf morgen. Vor allem, wenn die Zukunft ohnehin ungewiss ist. Trotzdem habe ich das Gefühl, dass die halbe Welt in einen Produktivitätswahn verfällt oder zumindest denkt dieser sei cool und man müsse ihn nach außen hin vermitteln. Klicke ich mich durch die sozialen Medien, allen voran hier Instagram, so scheint ein jeder mindestens 2 Home Workouts pro Tag zu machen, die Wohnung von unten bis oben geputzt zu haben, dreimal am Tag ein 4-Gänge-Menü auf den Tisch zu setzen und nebenbei noch ein ausgiebiges Beautyprogramm zu betreiben. Als müsse, wer gerade nicht 10 Stunden pro Tag im Büro sitzt, diese Zeit mit anderen „sinnvollen“ Dingen füllen.

Auch die Nägel dürfen mal unperfekt aussehen in solchen Zeiten 😉

Noch nie, solange ich mich erinnern kann, waren alte 50er Jahre Rollenbilder online wieder so präsent. Frauen zeigen sich als perfekte Hausfrauen, während ihre Männer im Garten Holz hacken. Das kann natürlich schnell das Gefühl vermitteln, dass wir alles schaffen müssen, egal in welcher Situation: gut aussehen, fit sein und bleiben, einen perfekten Haushalt schmeißen, und dann am besten auch noch daran arbeiten, möglichst bald wieder zu 100 % im Beruf zu stehen. Aber…so etwas ist absolut unrealistisch, ungesund und treibt so manchen schneller ins Burnout, als das normale Arbeitsleben sonst. Leute, wir haben eine Pandemie, eine absolute Ausnahmesituation, die es so noch nie gab. Es ist ok erstmal das System runterzufahren, bevor wir den Reset-Button drücken. Auch ich muss mich daran regelmässig wieder erinnern. Klar, ich würde gerne wieder normal planen, die Zukunft weitestgehend abgesichert sehen, aber aktuell geht das nun einmal nicht. Und wenn ich gerade nicht die erfolgreiche Reisebloggerin sein kann, so muss ich stattdessen weder zur 50er-Jahre-Hausfrau werden, noch zur Bodybuilderin.

Es ist ok, in einer Situation wie der aktuellen, auch mal einfach nur in den Tag hinein zu leben, bis mittags (oder nachmittags) im Bett zu liegen, den dritten Tag hintereinander nur Nudeln zu kochen und die Staubschicht auf der Fensterbank einfach mal zu ignorieren. Und genauso ist es ok, für eine Weile keine erfolgreiche Business-Frau zu sein. Denn wir sind auch so wer, ohne uns über diese anderen Attribute zu definieren. Meine psychische Gesundheit ist mir aktuell einfach wichtiger als der Rest, und somit erlaube ich mir das Faulsein. Und ende mit einem anderen Zitat (welches ich irgendwo auf Instagram gefunden hatte):

„This is a pandemic, not a productivity contest.“

Weiterlese-Tipp

Willst du mehr über das Thema lesen? Schau doch mal bei Franzi von Coconuts Sports vorbei. Sie hat einen sehr ähnlichen Beitrag über den Produktivitäts-Zwang verfasst:

Hört auf, endlich so verdammt produktiv zu sein

4 Kommentare

  1. Kann ich sehr gut nachvollziehen! Ich würde allerdings komplett durchdrehen, wenn ich nicht nonstop produktiv wäre 😀

  2. Ich schwanke ständig zwischen faulenzen und Produktivität – ist momentan total tagesabhängig. LG Lisa

  3. Ein nachdenkenswerter Artikel.

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