Nachdem ich in meinen Real-Talk-Kolumnen schon über Themen wie Liebesbetrug und Objektifizierung von Frauen geschrieben habe, widme ich mich heute einem noch heikleren, aber immens wichtigen Thema, der Online Belästigung. Viel zu oft werden wir damit konfrontiert und viel zu selten und wenig wird darüber berichtet. Kurz ging ein Aufschrei durchs Land, nachdem vor etwa einem Jahr, bei Pro 7 in der Prime-Time um 20.15, der Beitrag Männerwelten von Joko und Klaas, moderiert durch Sophie Passmann, über sexuelle Belästigung gesendet wurde. Was hier gezeigt und beschrieben wurde, ist der Alltag von Frauen: Beleidigungen mit sexuellem Hintergrund, Penisbilder im digitalen Postfach, Degradierung aufgrund der vermeintlich falschen Kleidung, etc. Und nicht erst seit dem Internet wird man als weibliche Person mit derartigem konfrontiert. Das, was heute unter dem Begriff „Catcalling“ läuft, also das Hinterherrufen anzüglicher Kommentare in der Öffentlichkeit, gab es beispielsweise schon immer. Genauso wie sexualisierte Kommentare am Arbeitsplatz, im persönlichen Umfeld, etc. Durch die Omnipräsenz des Internets sind die Belästigungsformen nur noch einfacher und vielfältiger geworden, da die Täter anonymer sind oder sich zumindest so fühlen.
Die Omnipräsenz der Belästigung
Ich persönlich kenne keine Frau, die noch keine sexuelle Belästigung erfahren musste und vermutlich auch keine, der dies nicht bereits über das Internet passiert ist. Sei es über soziale Medien, in Chats, oder auch via Email. Dabei ist es unerheblich, ob der Belästigende ein Bekannter oder ein Unbekannter ist. Je stärker man jedoch in der Öffentlichkeit steht, desto mehr häufen sich diese Fälle natürlich unweigerlich, einfach da man eine größere Zielscheibe bietet und mehr Männer auf einen aufmerksam werden. Zudem greift auch hier leider immer noch das Victim Blaming in den Köpfen vieler Männer, getreu dem Motto: „Wenn sie sich öffentlich so darstellt, dann muss sie damit rechnen“. Und hier darf auch nicht außer Acht gelassen werden, dass sexuelle Belästigung oft damit zu tun hat, dass der Täter sich mächtig fühlen, die Frau also herabsetzen will. Gerade Influencerinnen sind in den letzten Jahren zu einem der Hassobjekte Nummer 1 in der Gesellschaft geworden, scheinbar insbesondere unter Männern. Erinnern wir uns beispielsweise an die Videos von Oliver Pocher zu Anfang der Corona-Pandemie, in denen er systematisch Influencerinnen niedergemacht hat. Aber auch auf viel kleinerer Ebene nehme ich in Gesprächen immer wieder wahr, wie Männer, gerade auch sehr junge, gegen Influencerinnen wettern. Diese würden nichts leisten für ihr Geld, nur gut aussehen und alles geschenkt bekommen, ohne etwas dafür zu tun. Wie viel Intelligenz, Ausdauer und Disziplin dahinter stecken müssen, erstmal an den Punkt zu kommen, an dem man erfolgreich ist und Sachen „umsonst“ bekommt, das wird gerne übersehen. Keine Frau wird von heute auf morgen erfolgreiche Influencerin und genauso bleibt es keine, wenn sie nicht weiterhin kontinuierlich an ihrer Karriere arbeitet. „Wellshesassy hat das in einem Instagram-Post, der (zu recht) viral gegangen ist, sehr gut beschrieben: was Influencer-Bashing mit internalisiertem Frauenhass zu tun hat – hier ihr Posting (bitte alle Slides durchklicken). In dem Artikel „Über Misogynie und den Hass gegen Frauen“ des Online-Magazins amazedmag wird das Phänomen zudem wie folgt erläutert:
“ Denn der Hass gegen Influencerinnen ist auch in scheinbar aufgeklärten und sogar in sehr linken Kreisen akzeptiert und gängig. Und während Konsumkritik wichtig ist – auch beim Thema Social Media – muss man wachsam sein, in welchen Momenten sie nicht bloß vorgeschoben wird, um etwas anderes zu verdecken. Wenn sich jemand nur dann zu einer Konsumkritik hinreißen lässt, wenn diese sich gegen erfolgreiche Frauen wie Influencerinnen richtet, dann ist das keine Konsumkritik. Dann ist das unter Konsumkritik verscharrter Frauenhass.“
Und auch meine Bloggerkollegin und Freundin Andrea hat auf ihrem Blog Andysparkles einen Artikel zu dem Thema geschrieben: Warum belächeln wir Influencerinnen?
Doch kommen wir zurück zum eigentlichen Thema, der Online-Belästigung. Meine Theorie ist, dass Influencerinnen dieser besonders stark ausgesetzt sind, da sie zum einen generell in der Öffentlichkeit stehen, zum anderen in die Sparte „Hassobjekt“ fallen und es somit aus Sicht vieler Männer nicht anders verdient haben. Sie regen sich darüber auf, dass viele Frauen leicht bekleidete Bilder von sich posten, reflektieren aber nicht, dass es eben meist Männer sind, die genau diesen Bildern Aufmerksamkeit schenken. Die Frau ist die Böse und der Mann das arme hilflose Geschöpf, dass eben die Bikini-Bilder einfach liken muss. Ferngesteuert drückt er auf den Like-Button, ohne eigenen Willen. Gerade diejenigen, die den meisten leichtbekleideten Frauen auf Social-Media-Profilen folgen, regen sich, meiner Erfahrung nach, oft am meisten darüber auf, dass diese sich dementsprechend darstellen. Finde den Fehler. Und auch gerade diese Männer sind es dann teilweise auch, die denken, dass sie Frauen, die sich öffentlich im Internet „präsentieren“ ruhig belästigen können.
Ich selbst habe leider in dieser Richtung schon einiges erleben müssen. So habe ich einmal einen wirklich bedrohlichen Kommentar unter einem meiner Blogartikel erhalten, der explizit sexuelle Praktiken mit mir beschrieben hat. Auf meinem Instagram-Kanal kommen regelmäßig anzügliche und offensichtlich sexuelle Nachrichten an. Und auch Penis-Bilder habe ich leider schon diverse erhalten. Auch von anderen Influencerinnen weiß ich, dass sie das gleiche oder ähnliches schon erlebt haben, bzw. immer wieder erleben müssen. Und das macht natürlich etwas mit einem. Denn kein Mensch dieser Welt, egal ob öffentlich oder nicht, darf objektifiziert und erst recht nicht unaufgefordert mit sexuellen Inhalten konfrontiert werden. Und doch passiert es ständig. So steht in einem Artikel über sexuelle Belästigung im Internet auf der Webseite von „Buten un Binnen“:
“ Täglich bekommen mehrere hunderttausend Kinder, Jugendliche und junge Frauen ungefragt anzügliche Nachrichten über soziale Medien im Internet. Auf den unterschiedlichsten Internet-Plattformen werden vor allem Nutzerinnen beschimpft, beleidigt oder belästigt. Das ist das Ergebnis einer Umfrage der Kinderrechtsorganisation Plan International.“ (Anmerkung von mir: Nicht nur junge Frauen, auch ältere)
Online Belästigung konsequent anzeigen
Außerdem ist das Internet kein rechtsfreier Raum und somit sind alle Handlungen dieser Art strafbar. Anzeigen kann man mittlerweile sogar leicht online tätigen und muss dafür nicht extra persönlich zur Polizei gehen. Deswegen zeige ich mittlerweile alle übergriffigen Nachrichten sofort an: Screenshot, Onlineanzeige, abwarten. Im selben, soeben bereits zitierten, Artikel, steht dazu:
“ Frauen sind diesen Nachrichten aber nicht wehrlos ausgeliefert. Sie können den Account melden, blockieren und auch rechtlich dagegen vorgehen: „Dickpics sind ganz klar strafbar“, erklärt Strafverteidiger Jan van Lengerich. Werden die Bilder an eine Person unter 14 Jahren geschickt, kann es sich sogar um sexuellen Missbrauch von Kindern handeln. Aber auch Erwachsene und Jugendliche sind rechtlich geschützt, so Strafverteidiger van Lengerich weiter. Je nach Fall könne dem Täter eine Geld- oder sogar eine Freiheitsstrafe drohen.“
Es kann sich schließlich nur etwas ändern, wenn konsequent gegen Online-Belästigung vorgegangen wird. Leider habe ich keine Frauen gefunden, die mit mir für diesen Artikel über das Thema Online-Belästigung sprechen wollten. Ich habe mehrere Influencerinnen angeschrieben und Aufrufe bei Instagram getätigt, doch niemand hat sich dazu bereit erklärt, egal auf namentlich oder anonym, mir von den Erfahrungen zu berichten. Selbst beim Googeln finde ich keine persönlichen Berichte, sondern stoße primär auf Polizei- oder Anwaltsseiten, oder Präventionshilfeseiten für Jungendliche. Sicherlich unter anderem auch, weil das Thema immer noch so stigmatisiert ist, Victim Blaming betrieben wird, und somit lieber geschwiegen wird, als sich eventuellen Anschuldigungen auszusetzen. Ich hoffe inständig, dass sich das bald ändert: Frauen, sprecht über das, was euch widerfährt. Online-Belästigung ist kein Kavaliersdelikt, sondern eine Straftat und dementsprechend muss sie auch geahndet werden.